Caritas fordert Systemreform in der Pflege und visualisiert erstmals Ungerechtigkeiten des Pflege-Fleckerlteppichs

Wenige Wochen nach der Nationalratswahl benennt die Caritas einen ersten zentralen Reformbereich, bei dem die nächste Bundesregierung gefordert sein wird. „Auch wenn wir noch nicht wissen, wer dieses Land in den kommenden Jahren regieren wird, so ist dennoch klar, dass die Reform der Pflegelandschaft ein ganz zentrales Kapitel im nächsten Koalitionsübereinkommen darstellen wird müssen. Unsere Hand ist ausgestreckt und wir sind bereit, hier unsere Expertise aus der Praxis einzubringen“, betont Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler am Donnerstag. Gemeinsam mit Klaus Schwertner, Caritasdirektor der Erzdiözese Wien, fordert Tödtling-Musenbichler bei einer Pressekonferenz in einem Wiener Pflegewohnhaus eine umfassende Systemreform für die Pflege. Schwertner: „Auch wenn die aktuelle Bundesregierung hier wirklich herzeigbare Schritte gesetzt hat, ist klar: Der große Wurf steht noch aus.“ 

Unterstützung erhält die Caritas von Ökonomin Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO. Im Auftrag der Caritas hat das WIFO die fragmentierte österreichische Pflege- und Betreuungslandschaft visualisiert. Untersucht wurden Unterschiede zwischen den Bundesländern und auch, wie Österreich im internationalen Vergleich aufgestellt ist, wenn es um die Pflegeversorgung geht. Es zeigen sich dabei zum Teil deutlich Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern, aber auch im OECD-Vergleich. Deutlich wird außerdem: Vom Fachkräftemangel werden in den kommenden Jahren nicht alle Bundesländer in gleicher Weise betroffen sein. „In Österreich bestehen zum Teil gravierende Unterschiede in Art und Umfang des geförderten Pflegeangebots mit deutlichen Unterschieden in den Tarifen und der individuellen beziehungsweise familiären finanziellen Belastung. Ebenso sind erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Auslastung und des Betreuungsverhältnisses, also des Personalschlüssels, bekannt“, fasst Famira-Mühlberger das Ergebnis zusammen. Aus Sicht der Caritas ist klar: „Wir benötigen eine tiefgreifende Systemreform in der Pflege und wir brauchen diese Reform rasch“, betont Klaus Schwertner und verweist dabei auf jüngste Personalbedarfsprognosen, wonach sich die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Österreich bis 2050 mehr als verdoppeln wird und der Bedarf an Pflegekräften dramatisch steigt. Allein bis zum Jahr 2030 werden demnach in ganz Österreich knapp 50.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Zudem bewirkt die Demographie, dass sich Familienstrukturen verändern und pflegende Angehörige – die aktuell den Großteil der Pflege und Betreuung übernehmen – zunehmend vor existentiellen Herausforderungen stehen. Tödtling-Musenbichler und Schwertner sind überzeugt: „Wenn wir jetzt nicht handeln, droht die Pflege selbst zum Pflegefall zu werden.“ 

Caritas formuliert 4 zentrale Handlungsfelder
 

Konkret fordert die Caritas daher Reformen in vier zentralen Bereichen. 

1. Schluss mit dem Fleckerlteppich in der Pflege! 
„Jede*r in Österreich, unabhängig von Wohnort oder Einkommen, muss die Pflege erhalten, die sie oder er braucht“, so Tödtling-Musenbichler. „Der aktuelle Pflege-Fleckerlteppich hat eine Wohnort-Lotterie zur Folge: Ob und wie die Menschen versorgt werden, hängt davon ab, wo sie wohnen.“ Während in einem Bundesland mehr Personal zur Verfügung steht, herrscht in anderen Mangel. So variieren auch die Kosten in den Bundesländern. Dazu fordert die Caritas-Präsidentin „einheitliche Versorgungs-, Qualitäts- und Finanzierungsstandards vom Boden- bis zum Neusiedlersee und eine langfristig gesicherte Finanzierung der Pflege.“

2. Pflegegeld neu denken – Prävention und soziale Teilhabe statt Defizitorientierung!
„Lassen Sie uns endlich in die Prävention investieren – wir können Gesundheit und Selbständigkeit länger erhalten, Abhängigkeit hinauszögern. Das hilft den Menschen und spart langfristig Kosten“, unterstreicht Tödtling-Musenbichler. Hierzu muss das Pflegegeldsystem in seiner Grundstruktur neu gedacht werden. Anstatt zu warten, bis pflegebedürftige Menschen Fähigkeiten verlieren, die dann mit Pflegegeld ausglichen werden, muss das Pflegegeldsystem der Zukunft präventiv ansetzen und soziale Bedürfnisse berücksichtigen. „Was vor 30 Jahren ein sozialer Meilenstein war, funktioniert jetzt einfach nicht mehr. Wir fordern eine wissenschaftliche Evaluierung des Pflegegeldsystems und anschließend die Neugestaltung, orientiert an den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Menschen“, führt Tödtling-Musenbichler fort.

3. Ein Zukunftspaket für Pflegekräfte!
50.000 zusätzliche Pflegekräfte werden bis 2030 benötigt. Klaus Schwertner: „Es ist höchste Zeit für ein umfassendes Personalpaket, das bessere Arbeitsbedingungen, eine weitere Stärkung des Ausbildungsbereichs, Verbesserungen beim Gehalt und mehr Dienstplansicherheit sicherstellt.“ Die Praxisanleitung und Koordination von Praktika und Betreuung der Pflegelehrlinge müsse besser aufgestellt und Trägerorganisationen bei Ausbildungsaufgaben unterstützt werden. „Die Bundesregierung hat sich dazu bekannt, die mobile gegenüber der stationären Pflege zu stärken. Dieser Schritt wäre wichtig, um dem Wunsch der Betroffenen gerecht zu werden und um Angehörige besser zu unterstützen. Dazu wird es nötig sein, die mobile Pflege zu attraktivieren und auch die Gehaltslücke, die zur stationären Pflege besteht, endlich zu schließen.“

4. Zeitgemäße Pflege braucht Digitalisierung und Planung: „Hände frei für die Pflege!“
Die Finanzierung der Pflege hängt heute vom Finanzausgleich und von jährlichen Tarifverhandlungen ab, die noch dazu in neun Bundesländern unterschiedlich ausfallen. Schwertner: „Die Pflege benötigt eine langfristige und sichere Finanzierung über den Finanzausgleich hinaus und die Schaffung eines Pflege-Digitalisierungsfonds. Das Motto: Hände frei für die Pflege! Gerade wenn es um Dokumentationspflichten oder um die Dienstplanerstellung geht, können Pflegekräfte durch Digitalisierung und KI nachhaltig entlastet werden. Wenn eine diplomierte Pflegekraft heute drei Stunden am Tag mit Dokumentationspflichten beschäftigt ist, dann ist das einfach zu viel Zeit, die in der Betreuung von pflegebedürftigen Menschen fehlt.“ 

Über die Caritas Pflege
 

Die Caritas führt in Österreich 51 Pflegewohnhäuser und ist mit 2,5 Millionen mobilen Einsatzstunden eine der größten Organisation im Bereich Pflege und Betreuung in Österreich. Rund 6.300 Mitarbeiter*innen pflegen und betreuen knapp 38.000 Kund*innen in der Pflege. Daneben ist die Caritas in mehreren Bundesländern auch in der Hospizarbeit im Einsatz. Darüber hinaus unterstützt die Caritas pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen mit zahlreichen Beratungsstellen und kostenlosen Unterstützungsangeboten.